F O R u m m e D I z I N F O R u m m e D I z I N D e R b l A u e H e I N R I C H D e R b l A u e H e I N R I C H Auszug aus „Nincshof“ von Johanna Sebauer, S. 143 ff., DuMont Buchverlag 2023, 368 Seiten, 23 Euro (Hardcover), 14 Euro (Taschenbuch), ausgewählt von Katja Evers Auszüge aus „Blaue Frau“ von Antje Rávik Strubel, S. 14 ff., S. Fischer Verlage, 432 Seiten, 24 Euro ausgewählt von Katja Evers Weinlese-Irrziegentherapie Türen gab es nicht in Nincshof. Das lernte Isa Bachgasser schnell. Der Weinbau- er Kehranger wurde zum Stammgast im Hause Bachgasser-Mezzaroni, kam ohne Ankündigung und ohne zu klingeln durch die Eingangstür gerauscht und ließ sich wie selbstverständlich auf den langen Barhockern an der Kücheninsel nieder. Plopp- te wie selbstverständlich den Korken aus seiner mitgebrachten Flasche, „Was ganz Feines“, und verteilte großzügige Mengen auf die Weingläser, die ihm Isa Bachgasser irgendwann wie selbstverständlich hinstellte. Silvano Mezzaroni konnte nur schwer verbergen, wie sehr er die Aufmerksamkeit seines neuen Freundes, seines Landwirtschaftskollegen, genoss. Von der harten Landwirtsarbeit schleppte Silvano Mezzaroni sich an die Kücheninsel und wischte sich übertrieben schnaufend über die verschwitzte Stirn. Seine Finger, von zarten, sauberen Architektenfingern rasch zu schmut- zigen Ziegenwirtsfingern geworden, griffen nach den filigranen Stielen. Pastorales Klirren der Weinglaskugeln erfüllte den Raum, und die beiden Männer beglück- wünschten einander ein jedes Mal zu irgendeiner neuen gewitzten Entscheidung, zur exzellenten Weinauswahl, zur hervorragenden Gazpacho, zum Umzug nach Nincs- hof oder einfach zur Tatsache, dass sie einander gefunden hatten. Zwei so gewiefte Geschäftshungrige hier mitten im Schilf. Welch glückliche Fügung. „Isa, eine Frage“, sagte der Weinbauer eines Nachmittags. Er und Silvano Mezzaroni hatten sich fast bis zum Boden einer Flasche 2015er Cabernet Sauvignon durchgegur- gelt. „Ich möchte gerne deine Meinung hören. Was hältst du von folgender Idee?“ Er machte eine Kunstpause, zog seine Schultern zurück und verlieh seinem Weinbau- ernkörper auf dem Barhocker Würde und Präsenz. Dramatisch langsam sprach er wei- ter und schob dabei seine Hand durch die Luft, als zöge er einen Schriftzug nach, der dort im Raum hing und den nur er sehen konnte: „Weinleseaufenthalt für Depressive.“ Erneute Kunstpause. „Wir laden Burn-out-geplagte Wiener zu uns nach Nincshof ein und lassen sie an der Weinlese teilhaben.“ Er leuchtete. Silvano Mezzaroni nickte anerkennend. „Eine einmalige Erfahrung“, fuhr der Weinbauer fort. „Die Herbstluft, die Füße in Gummistiefel stecken, sich die Hände schmutzig machen, an etwas Ursprünglichem teilhaben. Besser als jedes Antidepressi- vum, das kannst du mir glauben. Und jetzt pass auf: Für uns lohnt es sich doppelt, denn unser Weingut bekommt dadurch kostenlose Arbeitskräfte. Mehr noch: Wir kriegen Arbeitskräfte, die dafür zahlen, dass sie bei uns arbeiten. Um meine Ungarn tät,s mir natürlich leid. Denen müsste ich ja dann kündigen.“ Er seufzte, starrte traurig in sein Weinglas und schenkte diesem Moment, in dem das Regiment des Kapitals ihn in die Knie gezwungen hatte, einen Augenblick der Betroffenheit. Dann fuhr er fort: „Wer möchte, kann eine Irrziegenwanderung zu einem Aufpreis hinzubuchen. Zusätzliche Beschäftigungstherapie. Bewegung an der frischen Luft, Tiere streicheln, Oxytocin. Das macht glücklich. Nach einer Woche Weinlese-Irrziegentherapie in Nincshof werden die beseelt zurück in die Stadt schweben, du wirst sehen.“ Er schenkte sich den letzten Rest des Cabernet Sauvignons ein und schickte ihn mit einem routinierten Schwenker im krautkopfgroßen Weinglasballon in einen elegan- ten Strudel. „Was sagst du, Isa?“… „Ich glaube, dass ich mich in einer Depression vor einer solchen Aktivität eher fürchten würde“, sagte Isa Bachgasser und schüttelte den Kopf … „Na ja, gut. Vielleicht funktioniert,s auch so. Das Angebot muss sich ja nicht ausschließlich an Depressive richten.“ Nincshof, ein kleines Dorf an der österreichisch-ungarischen Grenze, soll vergessen werden. So der Plan dreier männer. Wenn da nicht die Neuen aus der Stadt wären. „Nincshof” von Johanna Sebauer, 1988 in Wien geboren, wurde mit dem Debütpreis des Harbour Front literaturfestivals 2023 ausgezeichnet. 40 H A m b u R G e R Ä R z t e b l A t t 0 7 / 0 8 | 2 0 2 4 Impressum Offizielles Mitteilungsorgan der Herausgeber Ärztekammer Hamburg und Kassenärztliche Vereinigung Hamburg Schriftleitung Für den Inhalt verantwortlich Prof. Dr. Sigrid Nikol PD Dr. Henrik Suttmann Redaktion Stephanie Hopf, M. A. (Leitung) Katja Evers, M. A. (Fr.) Karen Amme, Dipl. (Fr.) Korrektur: Birgit Hoyer (Fr.) Redaktion und Verlag Hamburger Ärzteverlag GmbH & Co KG Weidestraße 122 b, 22083 Hamburg Telefon: 0 40 / 20 22 99-205 Fax: 0 40 / 20 22 99-400 E-Mail: verlag@aekhh.de Anzeigen elbbüro Stefanie Hoffmann Bismarckstraße 2, 20259 Hamburg Telefon: 040 / 33 48 57 11 Fax: 040 / 33 48 57 14 E-Mail: anzeigen@elbbuero.com Internet: www.elbbuero.com Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 54 vom 1. Januar 2024 Anzeigenschluss Septemberheft: Textteilanzeigen: 16. August 2024 Rubrikanzeigen: 22. August 2024 Abonnement Jährlich 69,98 Euro inkl. Versandkosten Kündigung acht Wochen zum Halbjahresende Geschäftsführer Donald Horn Mit Autorennamen gekennzeichnete Beiträge stellen nicht in jedem Falle die Meinung der Redaktion und der Schriftleitung dar. Für unverlangt eingesandte Manu- s kripte wird keine Haftung übernommen. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Grafische Konzeption Michael von Hartz (Titelgestaltung) Redaktionsschluss Septemberheft: 16. August 2024 Das nächste Heft erscheint am 12. September 2024 Druck, Verarbeitung und Versand Bonifatius GmbH Paderborn Auflage: 18.932