F O R u M M E D I Z I N F O R u M M E D I Z I N D E R b l A u E H E I N R I c H D E R b l A u E H E I N R I c H Auszug aus „Die Liebe an miesen Tagen“ von Ewald Arenz, S. 178 ff., Dumont Verlag 2023, 384 Seiten, Hardcover 24 Euro, Auszüge aus „Blaue Frau“ von Antje Rávik Strubel, S. 14 ff., S. Fischer Verlage, 432 Seiten, 24 Euro ausgewählt von Katja Evers ausgewählt von Katja Evers Noch ein letztes Kreuzchen „Wissen Sie, welches Jahr wir schreiben?“ Dr. Henschel war sehr professionell und lächelte nie. Papa, Toni, Jan und sie saßen mit am Esstisch, fast wie früher. Clara wand sich innerlich, so unangenehm war es ihr, das mitanzusehen. Es war noch schlimmer als neulich auf der Polizei. Es war, als würde ihre Mutter nackt ausgezogen werden. Sie konnte sehen, dass es Toni und Jan ähnlich ging. Kreuzchen um Kreuzchen wurde auf dem Stapel Papier vermerkt, den Dr. Henschel vor sich auf dem Tisch liegen hatte. „Frau Wagenbach, womit zahlen wir hier in Deutschland, Euro oder Mark?“ Mama bekam hektische Flecken auf den Wangen. „Ich muss hier nicht ... ich kann euch was sagen ... die Katze hat unser Wasser ver- führt. Hier können Sie mich nicht unter dem Tisch!“ Je wütender sie wurde, desto weniger Sinn ergaben ihre Sätze. „Mama“, versuchte es Toni, „du sollst doch nur sagen, womit du bezahlst. Euro oder Mark.“ „Das ist alles mein Geld!“, rief ihre Mutter wütend und stand so hektisch auf, dass der Stuhl umfiel. Jan und Clara mussten lachen. Der einzige klare Satz hatte mit Geld zu tun. Aber ihr Lachen kam nur von der großen Anspannung. „Wissen Sie, welcher Tag heute ist?“ Er war unerbittlich, und es war vor allem deshalb furchtbar, weil sie alle, wie sie am Tisch saßen, nicht hatten wahrhaben wollen, wie weit sich ihre Mutter bereits von der Welt entfernt hatte. Sie, die immer so unglaublich stark gewesen war. Die sich vor ihre Kinder gestellt hatte, egal, was war. Cla- ra erinnerte sich noch daran, wie sie damals, nach Pauls Unfall mit ihrem Auto, Mama angerufen hatte. Mama, hör mal, es kann sein, dass dich in den nächsten Tagen ein Polizist anruft. Was soll ich sagen?, hatte Mama sofort gefragt. Nicht, was sie angestellt hatte. Nicht, was passiert war. Nicht, ob sie jemanden umgebracht hatte. Einfach: Was soll ich sagen? Plötzlich hatte sie Tränen in den Augen. Jan war bleich, und Toni hatte ganz ähnliche Flecken auf den Wangen wie ihre Mutter. Nur ihr Vater schien so wie immer. „Vier Uhr!“, schrie Mama. „Ruhe jetzt!“ Sie rannte aus dem Zimmer und schlug die Tür zu. Noch ein letztes Kreuzchen, Dr. Henschel sah auf. Sie haben es selbst gemerkt“, sagte er nüchtern, „Ihre Mutter ist schwer dement.“ Er packte seine Papiere zusammen. Mit kleinen, fast pedantisch genauen Bewegun- gen. Er hat wirklich eine Aktentasche, dachte Clara, wie im Film. Braun. Hässlich. „Das Amtsgericht wird eine Vormundschaft anordnen“, sagte er im Aufstehen. „Na- türlich berücksichtigen die zuerst die Verwandten, wenn Ihnen das recht ist. Also Sie“, er wandte sich an ihren Vater, bevor er in Richtung Jan und Toni nickte, „und Sie natürlich auch, wenn Sie bereit sind“, fügte er mit einem plötzlichen und völlig unerwarteten Lächeln hinzu. Vielleicht war er doch irgendwie menschlich. Ewald Arenz (Jg. 1965) arbeitet als lehrer an einem Gymnasium in Nürnberg. Seine Romane „Alte Sorten“ (2019) und „Der große Sommer“ (2021) waren be- reits Spiegel-bestseller. Sein neuer Roman „Die liebe an miesen Tagen“ (erneut Spiegel-bestseller) befasst sich mit der Frage: Kann man, nicht mehr ganz jung und beladen mit lebenserfahrung, noch einmal oder überhaupt zum ersten Mal die große liebe finden? 34 H A M b u R G E R Ä R Z T E b l A T T 0 4 | 2 0 2 3 Impressum Offizielles Mitteilungsorgan der Herausgeber Ärztekammer Hamburg und Kassenärztliche Vereinigung Hamburg Schriftleitung Für den Inhalt verantwortlich Prof. Dr. Sigrid Nikol PD Dr. Henrik Suttmann Redaktion Stephanie Hopf, M. A. (Leitung) Katja Evers, M. A. (Fr.) Karen Amme (Fr.) Korrektur: Birgit Hoyer (Fr.) Redaktion und Verlag Hamburger Ärzteverlag GmbH & Co KG Weidestrasse 122 b, 22083 Hamburg Telefon: 0 40 / 20 22 99-205 Fax: 0 40 / 20 22 99-400 E-Mail: verlag@aekhh.de Anzeigen elbbüro Stefanie Hoffmann Bismarckstrasse 2, 20259 Hamburg Telefon: 040 / 33 48 57 11 Fax: 040 / 33 48 57 14 E-Mail: anzeigen@elbbuero.com Internet: www.elbbuero.com Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 53 vom 1. Januar 2023 Anzeigenschluss Maiheft: Textteilanzeigen: 14. April 2023 Rubrikanzeigen: 19. April 2023 Abonnement Jährlich 69,98 Euro inkl. Versandkosten Kündigung acht Wochen zum Halbjahresende Geschäftsführer Donald Horn Mit Autorennamen gekennzeichnete Beiträge stellen nicht in jedem Falle die Meinung der Redaktion und der Schriftleitung dar. Für unverlangt eingesandte Manu- s kripte wird keine Haftung übernommen. Die Redaktion behält sich Kürzungen vor. Grafische Konzeption Michael von Hartz (Titelgestaltung) Redaktionsschluss Mai: 14. April 2023 Das nächste Heft erscheint am 10. Mai 2023 Druck Frank Druck GmbH & Co. KG, Preetz Auflage: 20.669 0 2 7 0 7 0 2 2 - D I | R E